Ein Praxisfall:
Was ist die Situation?
Erich W. Seuf ist Bereichsleiter bei einem Logistikunternehmen. Er ist neu ins Unternehmen gekommen und leitet den Bereich IT. In dem Logistikunternehmen hatte der Bereich IT bisher eine reine Dienstleisterrolle – Fachbereiche haben ihre Anforderungen formuliert und diese wurden dann umgesetzt.
Die Geschäftsführung sieht im Thema Digitalisierung einen Erfolgsfaktor, der es dem Unternehmen ermöglichen wird, zukünftig schneller auf die sich ständig aber unvorhersehbar verändernden Kundenwünsche zu reagieren. Das ist der Auftakt, um das Unternehmen deutlich agiler zu machen. Erfahrungen mit agilen Veränderungsprozessen aus dem IT-Bereich sollen dann auf weitere Bereiche der Organisation übertragen werden.
Das Thema Digitalisierung ist Chefsache und Erich W. Seuf hat die volle Unterstützung der Geschäftsführung. Einer der Gründe für seine Einstellung ist sein nachweislicher Erfolg das Thema Digitalisierung bei seinem vorherigen Arbeitgeber vorangetrieben zu haben. Erich will liefern und außerdem ist das Thema Digitalisierung seine Leidenschaft. Er sieht sich als Missionar. Erich handelt definitiv agil – flexibel, aktiv, antizipativ und ist bereit, initiativ zu agieren.
Nach einigen Monaten zeigt sich folgende Situation:
- Die Mitarbeiter fühlen sich teilweise überfordert. Ein großer Teil versteht zum einen nicht, was von ihnen erwartet wird und zum anderen fehlt ihnen teilweise das erforderliche Fachwissen.
- Andere Bereichsleiter sind irritiert über das veränderte Auftreten des Bereiches bzw. des Bereichsleiters IT. Ihnen gefällt nicht, dass Erich Prozesse verändern will und die Initiative ergreift, Entscheidungen voranzutreiben, die gefühlt nicht abgestimmt sind. Sie fühlen sich in ihrem Einfluss beschnitten.
- Erich ist überrascht, dass seine Kollegen nicht alle mitziehen sondern ihn – aus seiner Sicht – behindern bei der Umsetzung des für das Unternehmen überlebenswichtigen Projekts. Außerdem wundert er sich über die begrenzte Selbständigkeit einiger Mitarbeiter. Schließlich bietet er ihnen doch viel Handlungsfreiheit. Er sieht sich als agile Führungskraft.
unter der lupe
Was ist passiert?
Erich trifft mit seinem agilen Mindset auf eine Organisation, in der eher noch klare Strukturen und die Einhaltung von Hierarchieebenen im Fokus stehen. Seine Mitarbeiter sind es nicht gewohnt, selbständig zu arbeiten – die Initiative zu ergreifen, Prozesse voranzutreiben und die Mitarbeiter aus anderen Abteilungen mit einzubinden. Seine Kollegen sind stark irritiert, dass ihnen ein anderer Bereichsleiter in „ihre“ Prozesse eingreift und ihre Kompetenzen beschneidet.
Erich beherrscht agile Methoden. Er weiß, wie er sich verhalten soll, kann aber seine Vorstellungen eines agilen Führungsverhaltens als Roll-out in seinem Bereich oder sogar im Unternehmen nicht umsetzen. Die Kultur des Unternehmens ist noch ein ganzes Stück entfernt von „we are agil“. „We do agil“ – das Anwenden agiler Methoden verbreitet sich erst langsam im Unternehmen.
Welche Lösungsansätze gibt es für Erichs Situation?
qualifizieren, damit Mitarbeiter die Aufgaben auch erledigen können. Außerdem sind motivierte Mitarbeiter erforderlich, die bereit sind selbständig zu arbeiten und auch die Verantwortung für ihr Handeln zu tragen. Diese Mitarbeiter wollen selbst gute Lösungen finden. Erich nutzt auch externe Fachkräfte, um den Wissenstransfer und die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu erhöhen und die erforderliche Geschwindigkeit bei der Projektumsetzung zu schaffen.
entscheiden lassen – also klären: wer darf welche Entscheidungen treffen? welchen Entscheidungsspielraum haben die einzelnen? Wie wird sichergestellt, dass die Mitarbeiter erforderliche Entscheidungen treffen, die das Unternehmen voranbringen. Im Nachhinein sind diese zu reflektieren, um für die Zukunft zu lernen.
vertrauen: Eine Unternehmenskultur entwickeln, die auf vertrauensvolle Beziehungen setzt, Fehler zu lässt und von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Eine Kultur, deren Merkmal Agilität ist.
kommunizieren und informieren: möglichst große Transparenz schaffen – sowohl hinsichtlich interner Themen als auch hinsichtlich des Wettbewerbsumfeldes. Erklären, warum bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Botschaften auch mehrfach wiederholen. Die soziokommunikative Kompetenz der Mitarbeiter weiter zu entwickeln. Also ihre Fähigkeiten, sich in einer Situation, selbstgesteuert mit Gefühlen, Motiven, Bedürfnissen, Werten der eigenen Person und anderer Personen auseinanderzusetzen, Unterschiede zu erkennen, um dadurch einen sozialen Kontext zu vereinbaren, der die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.
Leitplanken festlegen: Rahmenbedingungen schaffen, die ein erfolgreiches Arbeiten in einem agilen Umfeld ermöglichen. Mitarbeiter und Teams schärfen dann die erforderlichen Anforderungen im Verlauf selbständig. Also als Führungskraft eher loslassen – i.S.v. Prozesse steuern, Mitarbeiter anleiten – als Aufgaben selber zu machen und alles zu kontrollieren. So wird auch abteilungsübergreifende Zusammenarbeit gefördert und agile Teamarbeit ermöglicht.
Vielfalt leben: Stark unterschiedliche Blickwinkel und Ideen fördern und zulassen. Einerseits Prozesse, Methoden und Werkzeuge. Andererseits New Work und Kollaboration, Change Management und Coaching, agiles Lernen und agile Führung. Unterschiedliche Erwartungen treiben den agilen Wandel an.
Was ist neu an der agilen Führung?
„Nichts und doch vieles.“ Es gibt keinen Knopf, den man drücken muss und schon läufts. Agile Führung ist komplex und vielschichtig. Sie unterstützt Mitarbeiter dabei, schnell und kreativ auf wechselnde Bedürfnisse von Kunden und Märkten zu reagieren.
Agil Führen ist vor allem — eine Haltung. Das erfordert neues Denken und Handeln, es ist anstrengend und lässt sich nicht einfach verordnen. Jedoch trainieren und üben.
Um das gewünschte Mindset zu entwickeln, haben einige Firmen bereits ihr Vorgehen bei den Zielvereinbarungen verändert. Neben einem persönlichen Beitrag zum Ergebnis – der eher klar zu messen ist, wird teilweise
zum einen ein stärkerer Fokus auf die Kommunikation und Zusammenarbeit mit Kollegen sowohl im eigenen als auch anderen Bereichen gelegt,
zum anderen wird die Bereitschaft Ideen und Erfahrungen von Kollegen im eigenen Aufgabenbereich umzusetzen, in den persönlichen Zielen bewertet. Verständlicherweise ist beides eher schwer zu messen.
Ziel dieser Veränderung von Zielvereinbarungen ist, die Zusammenarbeit zu verbessern und somit mit der zunehmenden Komplexität produktiv umzugehen. Bei persönlichem Erfolg führt dies zu einer veränderten Haltung.
Quellen:
Agilität ist ein Merkmal des Managements einer Organisation (Wirtschaftsunternehmen, Non-Profit-Organisation oder Behörde), flexibel und darüber hinaus proaktiv, antizipativ und initiativ zu agieren, um notwendige Veränderungen einzuführen.
Für ein Unternehmen bedeutet Agilität die Fähigkeit, in einer Wettbewerbsumgebung gewinnbringend zu operieren, die charakterisiert ist durch ständig aber unvorhersehbar sich verändernde Kundenwünsche.
Quelle: Steven L. Goldman (Hrsg.): Agil im Wettbewerb: die Strategie der virtuellen Organisation zum Nutzen des Kunden. Springer, Berlin Heidelberg New York Barcelona Budapest Hongkong London Mailand Paris Santa Clara Singapur Tokio 1996, ISBN 3-540-60644-0. (Wikipedia)
One is a trait. One is a method. We do Agile. We are agile.
Upper
case “A” Agile is something we do.
Lower
case „a“ is who we are.
Quelle: PROSCI => Stop Confusing agile with Agile.pdf
Viele Unternehmen starten agile Veränderungsprozesse in ihren IT-Bereichen. Nach einiger Zeit stellt sich die Frage, ob Agilität nur auf Projekt- oder Produktentwicklungsebene verstanden werden soll oder doch für weitere Bereiche der Organisation.
Quelle: Haufe-Lexware GmbH: Dimensionen der Agilität: Agil werden in sechs Schritten. In: Haufe.de News und Fachwissen. (haufe.de [abgerufen am 2. Dezember 2016]).
Führung ist die zielgerichtete Beeinflussung des Erlebens und des Verhaltens von Einzelpersonen und von Gruppen innerhalb von Organisationen.
Quelle: Führung. Definition und Merkmale; www.wpgs.de
Quelle: Agile Führung: Warum jetzt alle auf den Zug springen – und 6 Gründe, die Finger davon zu lassen
Svenja Hofert 18. April 2017
Quelle: Das Kompetenzmodell Coach der Hamburger Schule
Dr. R. Meier und A. Janßen 2005-2010